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Atemwegsgesundheit bei PferdenPraktische Hilfe bei Atemwegsproblemen
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Pferd scheren: Wann es sinnvoll ist – und wann nicht

HKHella Karl
6 Min. Lesezeit

Wann und wie das Scheren von Pferden sinnvoll ist, welche Schurmuster Gesundheit, Atmung und Wärmeregulation unterstützen und welche tierschutzrelevanten Punkte dabei unbedingt beachtet werden müssen.

💡 Teilschur, Vollschur, Scherfenster & Co. – ein Leitfaden für Pferdebesitzer


🌬️ Einleitung

Der Herbst naht, das Fell wird dichter – und in den Ställen taucht jedes Jahr dieselbe Frage auf:
Soll ich mein Pferd scheren – ja oder nein?

Das Scheren (oder „Klippen“) ist längst mehr als nur eine Frage der Optik.
Es beeinflusst den Wärmehaushalt, die Hautgesundheit und den Komfort deines Pferdes –
und damit auch seine Leistungsfähigkeit.

Besonders bei Pferden mit Atemwegsproblemen oder empfindlichem Stoffwechsel lohnt sich ein genauer Blick, bevor die Schermaschine ans Werk geht.

In diesem Artikel erfährst du:

  • wann Scheren sinnvoll ist – und wann nicht,
  • welche Schurmuster es gibt,
  • was Scherfenster bewirken,
  • worauf du beim Scheren achten solltest,
  • und warum das Kürzen von Tasthaaren verboten ist.

1. Warum überhaupt scheren?

Das Winterfell schützt vor Kälte – kann aber auch zum Wärmestau führen.
Ein Pferd mit vollem Winterfell schwitzt schneller, trocknet langsamer und kühlt leichter aus.
Eine gezielte Schur hilft, Wärme und Feuchtigkeit besser zu regulieren.

Vorteile der Schur:

  • Das Pferd schwitzt weniger und trocknet schneller.
  • Das Risiko von Muskelverspannungen sinkt.
  • Das Fell bleibt sauberer und leichter zu pflegen.
  • Die Regeneration nach dem Training wird erleichtert.
  • Für Sport-, Reha- und Asthma-Pferde kann die Schur das Wohlbefinden deutlich steigern.

Bleibt das dichte Fell nach dem Training lange feucht, kann sich die Hautbarriere aufweichen (Mazeration).
So entstehen kleine Reizungen, Scheuerstellen und Entzündungsherde – Eintrittspforten für Keime.
Eine passende Schur hält die Haut trocken und widerstandsfähig.


💨 Warum Scheren für atemwegskranke Pferde hilfreich sein kann

Bei Pferden mit Equinem Asthma, COB oder chronischer Bronchitis geht es beim Scheren nicht um Optik, sondern um Entlastung.
Diese Pferde reagieren sensibler auf Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen.
Eine gezielte Schur kann helfen, die Atmung zu erleichtern und das Management zu verbessern.

1️⃣ Schnellere Regeneration

Atemwegspferde ermüden schneller. Wenn sie stark schwitzen, muss der Körper länger arbeiten, um sich abzukühlen.
Eine Teil- oder Fensterschur hilft, überschüssige Wärme rasch abzugeben – das stabilisiert den Kreislauf und erleichtert die Atmung.

2️⃣ Geringere Feuchtigkeitsbelastung

Bleibt das Fell lange feucht, bindet es Staub und Sporen – ein Risiko für empfindliche Atemwege.
Durch gezielte Schur trocknet das Pferd schneller, die Luftqualität rund um die Atemzone verbessert sich.

3️⃣ Weniger Überhitzung bei Reha oder Inhalation

Viele Asthma-Pferde absolvieren leichtes Training oder inhalieren regelmäßig.
Eine moderate Schur verhindert Überhitzung und unterstützt entspannte, tiefe Atmung.

👉 Eine Schur ist kein Muss – aber ein Management-Werkzeug, wenn sie sinnvoll und pferdegerecht eingesetzt wird.


2. Wann ist Scheren nicht sinnvoll?

So praktisch es klingt – Scheren ersetzt niemals die natürliche Thermoregulation.

Nicht scheren solltest du, wenn:

  • dein Pferd nur leicht bewegt wird (Freizeitpferd, Spaziergänge, Bodenarbeit),
  • es robust im Offenstall lebt,
  • kein gutes Deckenmanagement möglich ist,
  • es gesundheitlich geschwächt ist,
  • oder du nur aus optischen Gründen überlegst zu scheren.

Ein dichtes Fell ist kein Problem, das man „wegschneiden“ muss –
sondern ein natürlicher Schutz, den man respektieren sollte.


3. Schurmuster im Überblick

Nicht jede Schur bedeutet, dass das Pferd „nackt“ dasteht.
Es gibt zahlreiche Varianten, abgestimmt auf Trainingsumfang und Haltung.

  • Bib-Schur: Nur Brust und Unterhals geschoren – ideal für leicht arbeitende Pferde.
  • Irische Schur: Halsunterseite, Brust und Bauch – für regelmäßig bewegte Freizeitpferde.
  • Deckenschur: Unter der Decke bleibt das Fell stehen – für mittlere Belastung.
  • Jagdschur (Hunter Clip): Fast der gesamte Körper, Beine bleiben – für Sportpferde.
  • Vollschur: Komplette Schur (außer Kopf/Beine optional) – nur bei intensiver Nutzung.

4. Kleine Scherfenster – der clevere Kompromiss

Nicht immer muss das ganze Pferd geschoren werden.
Sogenannte Scherfenster sind gezielte kleine Flächen an stark schwitzenden Stellen: Brust, Flanken oder Bauchlinie.

Sie helfen, Wärme gezielt abzugeben, ohne die natürliche Schutzfunktion zu zerstören.

Vorteile:

  • Kein Deckenbedarf – auch bei Kälte.
  • Regulierte Schweißabgabe genau dort, wo sie entsteht.
  • Geringes Risiko des Auskühlens.
  • Erhalt der Thermoregulation.

👉 Eine ideale Lösung für Freizeit- und Rehapferde.


5. Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Der ideale Zeitpunkt liegt nach dem vollständigen Fellaufbau,
wenn das Pferd beim Training übermäßig schwitzt – meist im Oktober oder November.
Zu frühes Scheren führt dazu, dass das Fell sofort nachwächst.

Bei Cushing- oder Stoffwechselpferden kann auch eine Spätschur im Frühjahr sinnvoll sein.


6. So scherst du richtig

Vorbereitung:

  1. Pferd gründlich putzen, Fell trocken.
  2. Klingen prüfen, reinigen, ölen.
  3. Ruhiger, heller Ort ohne Zugluft.
  4. Pferd an Geräusch und Vibration gewöhnen.

Während der Schur:

  • Gegen den Haarwuchs scheren.
  • Klingen regelmäßig abkühlen.
  • Sattellage aussparen, Übergänge weich gestalten.
  • Bauch, Flanken und Hosen vorsichtig behandeln.

Nach der Schur:

  • Mit Abschwitzdecke eindecken, bis es warm ist.
  • Passende Decke wählen (nach Temperatur & Haltung).
  • Haut regelmäßig kontrollieren.
  • Fütterung mit Omega-3-Fettsäuren (Lein- oder Hanföl) unterstützt Hautregeneration.

7. Tierschutz: Tasthaare & Ohrhaare sind tabu

Das Abschneiden von Tasthaaren an Maul, Augen oder Nüstern ist gesetzlich verboten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 TSchG).
Diese Vibrissen sind hochsensible Sinnesorgane – sie helfen dem Pferd, Distanzen und Objekte einzuschätzen.

Auch Ohrhaare erfüllen einen klaren Zweck:
Sie schützen vor Insekten, Staub und Kälte.

➡️ Nur medizinisch notwendiges Kürzen ist erlaubt – nie aus optischen Gründen.
Bei FN- und FEI-Turnieren führt das Scheren dieser Bereiche sogar zum Startverbot.


8. Typische Fehler beim Scheren

  • Zu früh im Jahr geschoren → Fell wächst sofort nach.
  • Schmutziges Fell → verstopft Klingen, macht sie stumpf.
  • Falsche Maschine → Reizungen, unruhiges Schnittbild.
  • Keine Decke danach → Pferd kühlt aus.
  • Ohren oder Tasthaare geschoren → tierschutzwidrig!

9. Pflege & Haltung nach der Schur

  • Schur = aktives Wärmemanagement.
  • Decke an Temperatur anpassen:
    • leicht ab +10 °C
    • mittel ab 0 °C
    • schwer unter 0 °C
  • Zugluft vermeiden, aber gute Stallluft sichern – wichtig bei Atemwegspatienten.
  • Nach Bewegung gründlich abschwitzen lassen.
  • Schermaschinenölreste abwischen, ggf. mildes Hautöl verwenden.

10. Fazit

Scheren ist keine Mode, sondern Management.
Die Entscheidung sollte sich an Training, Haltung und Gesundheitszustand orientieren –
nicht an der Jahreszeit oder Stallmeinung.

Für viele Pferde ist eine Teil- oder Fensterschur die beste Lösung:
Sie reduziert Schweiß, erhält aber den natürlichen Schutz.

Für Pferde mit Atemwegsproblemen oder empfindlichem Stoffwechsel gilt:
Scheren kann helfen – aber nur, wenn Stallklima, Fütterung und Bewegung stimmen.

👉 Mein Tipp: Beobachte dein Pferd.
Wenn es nach der Arbeit klatschnass ist und kaum trocknet, kann eine Teilschur sinnvoll sein.
Wenn es im Offenstall zufrieden und trocken bleibt – lass das Fell, wie es ist.

Dein Pferd zeigt dir, was es braucht.

HK

Über Hella Karl

Expertin für Pferdegesundheit mit langjähriger Erfahrung in der Betreuung von Pferden mit Atemwegsproblemen. Teilt ihr Wissen, um Pferdebesitzern zu helfen, ihre Tiere optimal zu versorgen.

Atemwegs-Spezialistin15+ Jahre Erfahrung150+ behandelte Pferde